Feb
12
2013
Die Kirche hat in den vergangenen Jahren viele Menschen verloren
<http://www.katholisch.de/de/katholisch/themen/gesellschaft/130124_sinus_studie.php>.
Den ehemaligen Bundespolizeipfarrer und Autor Hans-Jürgen Vogelpohl
lässt das nicht ruhen. Deshalb hat er kürzlich ein Buch mit dem Titel
"Unsere Tür steht immer offen" herausgebracht, mit dem er sich besonders
an all jene wendet, die der Kirche fernstehen oder ausgetreten sind.
Nach Ansicht Vogelpohls ist die Sprache ein wesentlicher Grund für die
Probleme der Kirche heute, wie er im Interview in Münster erläutert.
*Frage: Herr Vogelpohl, was gefällt Ihnen an der Sprache der Kirche nicht?*
*Vogelpohl:* Die meisten Texte und Predigten heute sind am Schreibtisch
entstanden und haben mit der Realität wenig zu tun. Die Kirche spricht
heutzutage eine Sprache, die man als normaler Mensch nicht mehr
verstehen kann. Wenn man Texte nicht erbetet und darüber meditiert,
kommt dabei zu wenig heraus.
*Frage: Können Sie Vorbilder nennen, die eine Sprache gesprochen haben
oder sprechen, wie sie Ihnen als Ideal vorschwebt?*
*Vogelpohl:* Im politischen Bereich wären das Leute wie Franz-Josef
Strauß, Herbert Wehner oder Helmut Schmidt. Sie haben eine Sache vorher
durchdacht, hinterher bei einer Ansprache die jeweiligen Personen
gegenüber im Auge und sind in der Lage, wirklich in Kontakt mit ihnen zu
treten. Im kirchlichen Bereich ist der Altbischof von Münster, Reinhard
Lettmann, für mich ein gutes Beispiel. Er ist jemand, der alle Register
ziehen und sowohl mit der Putzfrau wie mit dem Professor auf Augenhöhe
und verständlich sprechen kann. Auch der Münchner Kardinal Reinhard Marx
macht das beispielhaft vor und kommt auf Schützenfesten und in
Bierzelten ebenso an wie bei akademischen Veranstaltungen.
*Frage: Wo oder wie kann man lernen, was die richtige Sprache für die
Kirche wäre?*
*Vogelpohl:* Wer die Sprache des Volkes sprechen will, muss nah bei den
Menschen sein. Er muss gut zuhören und zur rechten Zeit schweigen
können. Er muss Nähe zulassen und Nähe geben können. Und er muss wissen,
dass die Kirche eine Geh-hin-Kirche ist und keine Komm-zu-uns-Kirche. Es
wird Sie erstaunen, wenn ich das sage, aber gute Handelsvertreter können
so etwas. Wir müssen in der Kirche gute Vertreter sein.
/„"Die Kundschaft wird falsch bedient.“/
Hans-Jürgen Vogelpohl
*Frage: Sie würden also niemals die "U-Boot-Christen" kritisieren, über
die manche Pfarrer sich aufregen, weil sie nur an Heiligabend in der
Messe auftauchen?*
*Vogelpohl:* Wenn Pfarrer sie als "U-Boot-Christen" bezeichnen, so halte
ich das für unangemessen. Christus würde nie so reden. Der große Fehler
ist: Alle, die Gottesdienste gestalten - Priester wie haupt- und
ehrenamtlich engagierte Laien - tun so, als wenn die, die zu ihnen in
die Messe kommen, jeden Sonntag kämen. Man darf aber nicht voraussetzen,
dass die Gottesdienstbesucher in der Kirche aktiv sind und das
entsprechende Wissen mitbringen. Da wird die "Kundschaft" ganz einfach
falsch bedient.
*Frage: Viele lassen sich vielleicht kirchlich trauen, schicken ihre
Kinder zur Erstkommunion und lassen möglicherweise auch noch ihre
Angehörigen kirchlich beerdigen, sind aber sonst nie in der Gemeinde zu
sehen. Warum ist das so?*
*Vogelpohl:* Da muss die Kirche sich stets die Frage stellen: Warum
sieht man die sonst nicht? Der heilige Thomas von Aquin hat uns die
richtige Frage vorgegeben, die wir uns als Seelsorger stellen müssen:
Was braucht der? Was ist sein Anliegen? Was kann ich für ihn tun? Immer
wieder höre ich von Bekannten, die der Kirche fernstehen: Die Kirche hat
eine so gute Ware, aber sie verpackt und verkauft sie so schlecht. Daran
muss sich etwas ändern. Wenn die Menschen nicht häufiger kommen, dann
haben die "Vertreter" der Kirche sie vorher nicht richtig angesprochen.
*Frage: Wir leben heute in einer Event-Kultur, auch in der Kirche. Nutzt
es etwas, die Menschen mit Events anzusprechen?*
*Vogelpohl:* Das halte ich für unangemessen. Das Wesentliche am Fest ist
die Gemeinschaft, die dadurch geschaffen wird, nicht der
Event-Charakter. Entscheidend ist für den Einzelnen, dass er sowohl bei
einem Fest wie im Alltag so sein darf, wie er ist, und nicht von der
Kirche verurteilt wird.
*Frage: Hängt der Erfolg der Kirche davon ab, wie konservativ oder
progressiv sie ist?*
*Vogelpohl:* Das sind nur Schlagworte, die nichts aussagen. Der Andere
kommt dann zu mir, wenn ich ehrlich bin und ihm das Wort Gottes
verkünde. Ein afrikanisches Sprichwort sagt: "Der Mensch ist die beste
Medizin für den Menschen". Nur wer mit ganzer Seele dabei ist, kann das
Gute im Anderen entdecken und fördern. In einer kalten und gefühlsarmen
Zeit brauchen wir gerade in der Kirche menschliche Menschen, die auf die
anderen zugehen. Vor allem darf die Kirche die Fehler nicht immer bei
den anderen, sondern sie muss sie bei sich selbst suchen.
*Frage: Sollte man statt der biblischen Texte auch säkulare Geschichten
und Gedichte als Lesung und Evangelium vortragen, wie es teilweise
geschieht?*
*Vogelpohl:* Es ist eine große Dummheit, den Menschen Antoine de
Saint-Exuperys "Kleinen Prinzen" statt der Heiligen Schrift vorzusetzen.
Ich lasse immer ganz bewusst das Wort Gottes stehen. Solch eine Neuerung
bringt der Kirche nichts.
*Frage: Wie müsste denn die kirchliche Sprache aussehen, die die
Menschen erreicht? Etwa wie bei Pater Leppich?*
*Vogelpohl:* Kurze Sätze, keine Fremdworte, anschaulich, bildhaft und
verständlich. Vor allem aber muss der Seelsorger selbst an seine Worte
glauben und zu seiner Wahrheit stehen, aber auch die anderen spüren
lassen, dass er ehrlich ist und an seine Worte glaubt. Er muss die
Menschen ernst nehmen und darf nicht versuchen, sie in die Kirche
hineinzuziehen. Vor allem aber darf seine Sprache nicht zu sehr aus dem
Kopf heraus, sondern sie muss aus dem Herzen, der Personmitte heraus
kommen. Pater Leppich würde heute nicht mehr ankommen, weil er zu wenig
differenziert wirken würde. Aber einen pfiffigen neuen Pater Leppich mit
vielen guten Mitspielern könnten wir dringend brauchen. Wer auf diesem
Gebiet heute Erfolg haben will, der muss bescheiden und vorsichtig
anfangen, und die Geduld haben, auf die selbst wachsende Saat warten zu
können.
Das Interview führte Gerd Felder (KNA)
Hintergrund
Eine im Januar 2013 in München präsentierte Studie hat den Katholiken im
Land mithilfe der Sinus-Milieus in Herz und Seele geschaut. Das Ergebnis
ist für die Kirche wenig erfreulich. Und dennoch gibt es Hoffnung.
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